Günther Freunek in ANDROMEDA NACHRICHTEN # 248 (Januar 2015):
Zwischenzeitlich ist EXODUS bei der Ausgabe 31 angekommen und präsentiert 112 Seiten mit Stories, Illustrationen, Lyrik und Galerie sowie Comic und Essay. Nach wie vor liegt der Schwerpunkt auf den Kurzgeschichten. Insgesamt zwölf davon finden sich im Heft und decken die Bandbreite von SF und Phantastik ab.
Mit „Die geheimsten Begierden“ legt Dirk Alt vor und startet seine Erzählung. Darin geht es eher unphantastisch los, mit Griffin, dem Grabscher. Wer? Tja, Amber, die Hauptperson der Story ist auf Rache aus und wartet darauf, dass der Grabscher seine Lektion erhält. Schnell stellt sich heraus, dass mehr hinter dem einfachen Rachefeldzug steckt. Das geeignete Mittel dafür ist die Wunschmaschine. Oh ja, eines Abends, als Amber frustriert den Abend mit Schokolade, Schnaps und Fernsehen verbringt, materialisiert das Ding in ihrer Wohnung. Einfach so, Dimensionsriss – Wunschmaschine da. Was macht man, wenn man in den Besitz einer Wunschmaschine kommt? Genau, man wünscht, auf Teufel komm raus versteht sich. Dirk Alt versteht seine Story als Hommage an Robert Sheckley sowie die Fumetti-Reihe „Storie Blu“. Mich erinnert sie an das Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“. Diese, die nimmer satte Ilsebill, treibt es mit den Wünschen gar zu wild und wir alle wissen, was passieren kann, wenn man den Hals nicht voll bekommt. Auch Amber bekommt das zu spüren. Denn die Holmer Höchsttechnologiewerke auf dem Planeten Holm, sind ganz und gar nicht begeistert davon, dass eine Erdenfrau unbeabsichtigt in den Besitz der Wunschmaschine gelangte. Flott geschrieben und amüsant – lesen, sage ich da.
Der „Datenmensch“ von Johannes Tosin präsentiert uns eine unangenehme Zukunft der Erde. Ein Atmosphäre, die nicht mehr schützt. Gammastrahlung, die Menschen an Krebs sterben lässt. Und das Netz als Parallelwelt. Der Mensch lässt sich aufzeichnen, seinen Geist und sein Ich digital auf Serverfarmen speichern. So teilt sich die Welt auf in die Körperbehafteten und die Übertragenen, die nur noch virtuell existieren. Ein Miteinander von beiden Gruppen gibt es nicht, Kommunikation ist eine Einbahnstraße. Die Aufgezeichneten bekommen nicht mehr mit, was da draußen vor sich geht. Theoretisch können sie ewig leben – aber ist das wirklich leben? Diese Erzählung regt zum Nachdenken an, das passt.
Wolf Welling greift mit „Die Akte PKD“ ein Thema auf, über das Philip K. Dick in 1954 schrieb. Dessen Story trug die Bezeichnung „Adjustment Team“. Das Ganze basiert auf der Annahme, dass ein Anpassungsbüro im Geheimen wirkt und die Geschicke der Menschheit lenkt. Diese geheime Behörde hat einen Masterplan, nach dem sie steuert, anpasst und die Entwicklung in ihrem Sinne lenkt. Den Wirrkopf Philip K. Dick konnte sie ausschalten und seine Erzählung damals nahm niemand ernst. Was aber wäre, wenn ein abtrünniger Agent ihre Existenz publik machen würde? Zum Beispiel durch einem Kino-Blockbuster mit Matt Damon und Emily Blunt in den Hauptrollen? Das geht natürlich nicht, und so entsendet die Geheime Behörde flugs einen loyalen Agenten, den Spürhund/Killer. Wird er die drohende Katastrophe verhindern?
„Das Ende aller Tage“ von Michael Iwoleit spielt mit vier kurzen Worten auf den Inhalt der Story an. In Wiederholungsschleife bekommen wir das bereits von den Privatsendern N24 und n-tv präsentiert. Das Ende der Welt, wahlweise durch wandernde Schwarze Löcher, einen Gammastrahlen-Blitz, eine Supernova oder einen Meteoriten-Einschlag. Der Autor entscheidet sich für Ersteres und setzt das stimmungsvoll um. Wohl jeder, der die einschlägige Genreliteratur liest, hat sich mit diesem Gedanken schon mal beschäftigt. Wie würde man wohl selbst reagieren, was machen, wenn man wüsste, das Ende des eigenen Lebens steht bevor?
Greifen wir nochmal zu und ziehen die Erzählung „Neumond“ von Rolf Krohn. Sie ist ein alter Bekannter. Nein, ich habe sie nicht woanders gelesen – aber gehört. Nämlich auf dem ElsterCon in Leipzig. Dort trug sie Rolf Krohn im Rahmen einer Lesung vor und trat damit den Beweis an, wie unterschiedlich man eine Story aufnehmen kann. In Leipzig fand ich sie nett, aber nicht besonders. Das Selbstlesen hat den großen Vorteil, die Kontrolle über die Lesegeschwindigkeit zu setzen und die Wahrnehmung ist eine andere. Nehmen wir einmal an, unser Mond wäre plötzlich weg und würde durch einen anderen, fremden ersetzt! Diese Idee stellt uns der Autor in seiner Kurzgeschichte vor, die er in der Ich-Form erzählt. Wie reagiert die Welt darauf? Die Medien, die sogenannten Experten? Und welche Rolle spielt dabei Herr Bokrug, der große Waran des Autors, der sich seitdem so merkwürdig verhält?
Aufgelockert – oder sollte man besser sagen unterbrochen – werden die Erzählungen durch die „Lyrik Sektion“. Schon zu SAGITTARIUS-Zeiten stand ich Gedichten skeptisch gegenüber. Während bei einer Lesung, einem Vortrag, der Autor mit dem Publikum durch Geschwindigkeit und Betonung interagieren kann, ist das in der Printfassung nicht machbar. Einen Ansatzpunkt fanden die Exodus-Macher immerhin: Die Gedichte von Bernd Karwath und Francisco de Goya wurden mit thematisch passenden Bildmotiven hinterlegt, die recht gut mit dem Textinhalt in Wechselwirkung treten.
Eine weitere Neuerung ist der EXODUS-Essay. Franz Rottensteiner präsentiert unter der Überschrift „Science Fiction: Zukunftsliteratur? Pure Nostalgie!“ seine Gedanken zu diesem Thema. Seine These, die er aus der Standard-Biografie des gemeinen SF-Fans ableitet, ist, dass die Fans zu Alt-Fans werden und sowieso nur noch das lesen, was sie bei ihrem Einstieg gelesen haben. Weil „Haue“ für die eine Seite ja langweilig ist, bekommen die Autoren und Schriftsteller auch noch ihr Fett weg. Dicke Ziegel von Romanen kritisiert er und Trilogien von amerikanischen Autoren, die argumentieren „stand alone“ verkaufe sich nicht.
Im Gegenzug sind die Kurzgeschichten tot. Kein Großverlag, der sie anfassen mag. Alles klar, alles bekannt. Doch für all das gilt auch die Kernaussage: Der Markt bestimmt, was verlegt wird, will heißen, das Kaufverhalten der Konsumenten. Im Mainstream, im Film wird das noch deutlicher: Special-Effects, Action und 3D vermögen die dünne (Rottensteiner nennt es: dümmliche) Handlung nicht zu verdecken. Waren in den achtziger-Jahren bei Suhrkamp SF-Titel noch mit Auflagen von 10.000 bis 12.000 Exemplaren im Zeitraum vom zwei bis drei Jahren abverkaufbar, so waren es ein Jahrzehnt später gerade mal 2.000 bis 3.000 Stück.
Nun, eine Umkehrung, gewissermaßen zurück in die gute alte Zeit, wird es nicht geben. Insgesamt führt der Artikel jedoch weder zu neuen Erkenntnissen noch vermag er Lösungsansätze aufzuzeigen. Der beklagte Trend in der SF ist auch in der Gesellschaft generell zu verzeichnen. Denken wir nur mal an die Schlagworte Pisa-Studie und Lesekompetenz.
Was bleibt als Fazit der Ausgabe 31 von EXODUS? Der Untertitel „Science Fiction Stories & Phantastische Grafik“ bringt es nach wie vor auf den Punkt: EXODUS ist ein Story-Reader in Magazin-Optik, kenntnisreich zusammengestellt und somit für die zahlenmäßig eher kleine Zielgruppe der Kurzgeschichten-Leser erste Wahl.
Die bereits in Ausgabe 29 kritisierte Rubrik „Personalia – die Autoren und Künstler“ bzw. ihre Platzierung am Heftende, verblieb auch dort, statt den einzelnen Stories zugeordnet zu werden. Olaf Kemmler begründete das auf dem ElsterCon mit Platzproblemen. Möglicherweise ist aber auch der befürchtete Arbeitsaufwand ein Hinderungsgrund, denn das zweispaltige Layout ist für eine solche Anforderung etwas zu statisch und unflexibel.
Ich behaupte mal, es wäre trotzdem machbar, auch ohne das Layout zu verändern und in vertretbarer Zeit. Wie? Das verrate ich, wenn man mir ein Weizenbier ausgibt.