Zwischenzonen

Kurzgeschichtensammlung von Wolf Welling

Was Wellings Kurzgeschichten auszeichnet, ist die Betrachtung von Science Fiction Themen aus einer sehr menschlichen Perspektive. Es sind die subjektiven Erfahrungen der Menschen, ihr Gefühlsleben und ihre Gedanken, die im Vordergrund stehen. Dabei ist Welling keinesfalls der Tradition der New Wave zuzurechnen, denn bis auf wenige Ausnahmen bilden durchaus harte Wissenschaft und Technik die Grundlage, auf der die Geschichten aufgebaut werden.

Haben Sie vielleicht schon mal davon gehört, dass subatomare Teilchen nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort existieren? Sie befinden sich tatsächlich in einer undefinierten Superposition. Richtig, es handelt sich um Heisenbergs berühmte Unschärferelation. Was würde es bedeuten, wenn das auch auf den Makrokosmos zuträfe, auf unser Leben? Kann man gleichzeitig tot und lebendig sein? In »Die Katze Schrödinger« gibt uns Welling eine Antwort.

Einen zum Tode verurteilten, perversen Mörder gibt Welling in »Target No. 9« (Erstveröffentlichung in EXODUS 29) die Chance, sein Leben etwas zu verlängern, allerdings in Form einer fliegenden Bombe, mit der islamistische Terroristen empfindlich getroffen werden sollen.

Einen melancholischen Anstrich hat die Geschichte »Venezia muore« (Erstveröffentlichung in EXODUS 28). Der Meeresspiegel ist gestiegen und Venedig versinkt und verfällt zusehends. Während alle Bewohner die Stadt längst verlasen haben, ist Aschenbach hierhergezogen, um gemeinsam mit der Lagunenstadt zu sterben. Gelegentlich läuft ihm eine attraktive Frau über den Weg, die ebenfalls hier wohnt. Aber keiner der beiden hätte ein Interesse an einer näheren Bekanntschaft. Als sie ihn an ihrem Geburtstag zu einem Drink einlädt, finden sich beide plötzlich in einem alternativen, einem sehr lebendigen Venedig wieder. Diese Geschichte ist weniger Science Fiction, sondern eher allgemein Phantastik. Welling beweist hier, dass er auch diese brillant zu schreiben versteht.

Ein besonderer Coup ist ihm mit »Die Akte PKD« (Erstveröffentlichung in EXODUS 31) gelungen. In seiner Story »Adjustment Team« hat der nunmehr berühmte amerikanische Autor Philip K. Dick eine Behörde erfunden, die einen großen Masterplan für die Entwicklung der Menschheit kennt und die darüber wacht, dass Ereignisse, die den Plan stören könnten, gar nicht erst stattfinden. Welling geht nun hin und teilt uns mit, dass sich Dick die Behörde nicht ausgedacht hat, sondern dass es sie wirklich gibt. Der Misserfolg des Autors in frühen Jahren ist genau darauf zurückzuführen, dass die Behörde ihm Steine in den Weg gelegt hat, weil sein Wirken den großen Plan gestört hätte. Ein wunderbares Stück Selbstreflexion der Science Fiction mit Augenzwinkern. - »Die Akte PKD« ist aktuell in der Kategorie »Beste Kurzgeschichte« für den Kurd-Laßwitz-Preis 2015 nominiert!

Neben den in EXODUS und Nova bereits erschienen Geschichten gibt es in dieser Sammlung mit »Interzone« und »Strandsand« auch noch unveröffentlichte Geschichten zu entdecken. Alles in allem eine Sammlung, die sich lohnt. Der Autor hat bereits in seiner Jugend erste Kurzgeschichten veröffentlicht, so z.B. im Fanzine »Space Times«, und kehrt jetzt als Pensionär zum Schreiben zurück. Was für ein Jammer, dass in unserer Kultur das Berufsleben und der Broterwerb dem Geschichtenerzählen, somit dem Reflektieren über unser Leben, stets im Wege steht und Welling nicht schon viel früher wieder sein erzählerisches Talent genutzt hat. Aber künftig dürfen wir uns bestimmt noch auf weitere Stories freuen.

Das Buch ist erschienen unter der ISBN 978-3-942533-59-1. Mehr Information un bestellen kann man gleich hier.

Übrigens stammt das wirklich hervorragend Cover von Thomas Franke.

gepostet (OKe) = Olaf Kemmler