Standen in den letzten Bänden in erster Linie Themenwelten im Mittelpunkt der einzelnen "Exodus" Ausgaben, gehen die Herausgeber im Grunde den logischen Schritt weiter. Um das Portrait des Künstlers Helmut Wenske - mit zahlreichen farbigen und großformatigen Bildern im Mittelteil, die aufgrund der sehr guten Druckqualität der vorliegenden Ausgabe auch entsprechend zur Geltung kommen - haben sie neben einer kurzen Fabel und einem Gedicht Geschichten platziert, die von den psychedelischen Bildwelten Wenskes inspiriert worden sind. Uwe Anton führt in Wenske unter dem Einfluss von Drogen entstandene Werke ein und bereitet den Leser auf Wenske ironisches Essay "Phantastik Kunst & Kifferwahn" vor. Es ist sicher kein Zufall, das Philip K. Dick den Künstler am ehesten inspirierte, während ansonsten seine markanten und expressiven Bilder in erster Linie SF- Romane wie zum Beispiel Otto Basils "Wenn das der Führer wüsste" schmückten, ohne in einem Zusammenhang mit dem Roman entstanden zu sein. Wenske selbst sieht sich auch eher als freischaffender Künstler - viele seiner Werke zieren eine Reihe von Platten unterschiedlicher und heute weniger bekannter Gruppen wie zum Beispiel "Nektar" -, der keine Auftragsarbeiten abliefern wollte oder konnte. Sein kurzes Essay, in dem er unter anderem seine Erfahrungen mit den biederen örtlichen Kulturverbänden genauso beschreibt wie auch hinsichtlich seines Drogenkonsums kein Blatt vor den Mund nimmt, ist frech und offen provozierend geschrieben. Es zeigt Wenske als einen genauen Beobachter seiner Umwelt, aus welcher er sich aber im Grunde nicht viel bis gar nichts gemacht hat. Die verschiedenen Bilder geben einen sehr guten Einblick in das Schaffen des Künstlers.

Christian Weiss hat sich für seine mahnende Allegorie "Die Zeitwüste" von Wenskes Arbeiten inspirieren lassen. In einer fernen Zukunft auf einer von Kriegen zerstörten Erde begegnet der alte Mann und ehemalige Krieger/ Mörder Hiro einem abgeschiedenen Volk, das glaubt, einen Ausweg auf dem Fluch der Vergangenheit gefunden zu haben und dank des systematischen Vergessens nicht in die Versuchung zu geraten, die alten Fehler zu wiederholen. Christian Weiss beginnt seine gut zu lesende, unterhaltende Geschichte stimmungsvoll, bevor er im philosophisch interessanten und vor allem den Zuschauer zum Nachdenken anregenden Mittelteil ausgesprochene starke Dialoge präsentiert. Das Ende mit seinem aufgesetzten konsequenten, aber nicht wirklich zufrieden stellenden "Happy End" enttäuscht im Vergleich zum dominanten Mittelabschnitt ein wenig. Zusammengefasst ist "Die Zeitwüste" allerdings eine interessante Arbeit, die stilistisch nur etwas psychedelischer und nicht so bodenständig überzeugender und intensiver gewirkt hätte. Martin Baresch „Der Korridor" ist eine weitere Allegorie, die von Helmut Wenskes Bildern inspiriert worden ist. Dabei lässt der Autor positiv offen, ob der Protagonist wirklich mit seinem Tumor Kontakt aufnehmen kann oder sich die ersten Zeichen des aufkommenden Wahnsinns zeigen. Der Text ist sprachlich sehr kompakt geschrieben und bemüht sich, seine Handlung verschachtelter und damit für den Leser vielschichtiger zu erzählen als es der Plot normalerweise hergeben würde.

Eine Art Übergang als Wegabschnittsbegleiter Wenskes in den wilden Spätsechzigern bilden die beiden Geschichten von Horst Pukallus und Hans Joachim Alpers, beide debütieren mit ihren Texten in "Exodus". "Letzte Trendansage" von Horst Pukallus verlangt förmlich nach einer graphischen Interpretation durch Meister Wenske. Auch wenn diese nicht stattfindet, ist die bissig überdrehte Satire auf die erzkonservative, aber innerlich verfaulte und dekadente Politik, die Scheinheiligkeit der regulierten Welt und schließlich die Absonderlichkeit des kybernetischtechnischen Fortschritts klassischer Pukallus. Stilistisch überdreht, teilweise verfremdet setzt der Autor die pointierten Dialoge spärlich, aber ungemein effektiv ein. Ein bitterböses Portrait auf die schöne neue Welt , die plötzlich allgegenwärtig erscheint und vielleicht es sogar ist. "Mörderland" aus der Feder Alpers leidet fast schon unter seiner ureigenen Cleverness und leider einem spürbaren Hang im Schlussabschnitt zur Belehrbarkeit. Anscheinend können sich Hobbymassenmörder im virtuellen Spiel "Mörderland" - das es sich nicht um eine Semirealität wie in Sheckleys Werken oder Richard Bachmanns "Running Man" handelt, zeichnet sich sehr schnell ab - mit dem siebenten Mord eine Beförderung verdienen. Jäger XXL ist ein sadistischer Frauenkiller, der am Ende seine eigene Medizin schlucken muss. Routiniert geschrieben und insbesondre in der ersten Hälfte von der dunklen Atmosphäre profitierend zerfällt Alpers Geschichte trotz einer letzt endlich zynisch cleveren Prämisse in vorhersehbare Einzelteile.

Außerhalb des Themenbereichs Helmut Wenske präsentiert "Exodus 26" mit der Auftaktgeschichte "Triff Adenauer in Cöln" aus der Feder Uwe Posts eine klassische Alternativweltgeschichte. Anscheinend hat Deutschland seinen Kaiser im Ersten Weltkrieg nicht verloren und betreibt seit Jahrzehnten eine Isolierungspolitik. Es gibt Gerüchte um ein fatales Erdbeben in der Rheinebene, was die westlichen Staaten veranlasst, einen Sonderbotschafter ins Reich zu schicken. Nach einer abenteuerlichen Reise - unter anderem mit der Wuppertaler Hochbahn, die inzwischen bis in die Rheinebene reicht, kommt der Gesandte nach Cöln, um den dortigen Bürgermeister Adenauer zu treffen. Uwe Posts Parallelwelt lebt von ihren intensiven Beschreibungen. Es gelingt dem Autoren, mit überzeugenden sprachlichen Bildern die erdrückende Atmosphäre eines sich inzwischen selbst überlebten preußischen Kaiserreiches zu erzeugen, wobei das zynische konsequente Ende den gelungenen Beitrag sehr zufrieden stellend abrundet.
Olaf Kemmlers "Purpurgras" ist dagegen eine abenteuerlich unterhaltsame Geschichte, deren grundlegender Plot - auf einem Planeten werden die einheimischen Tiere zur Jagd durch kleine, besonders ausgewählte Gruppen von Menschen freigegeben - mit genügend guten und originellen Ideen angereichert worden ist, um wirklich zu überzeugen. Der stringente Plot wird durch kleine Nebenepisoden - am ersten Abend erzählen sich die Mitglieder der Jagdgruppe ihre persönlichen Erlebnisse oder der klassische "Held" wird am Ende zur tragischen Figur, die verzweifelt gegen das Schicksal anzukämpfen sucht - sehr gut ergänzt, auch wenn der eigentliche Showdown sehr unter den Übertreibungen insbesondere des amerikanischen Actionkinos leidet.
Helmut Ehls „Zu viele Reptilienärzte" – die alle Namen von bekannten Science Fiction Autoren tragen – ist mehr als eine originelle Invasionsgeschichte. Bissig pointiert nimmt er die gegenwärtigen Exzesse insbesondere hinsichtlich einer Art Perfektionswahn mit doppelter Absicherung auf die Schippe und lässt seinen Protagonisten neben Beziehungsängsten auch an der Gesellschaft scheitern, in welcher er sich inzwischen wie ein Dinosaurier vorkommen muss. Helmut Ehl hat die Geschichte in einem angenehm flüssigen, mit zahlreichen kleinen Querverweisen in Richtung Rockmusik bzw. wie schon angesprochen Science Fiction Literatur ergänzten Erzählfluss geschrieben, der auch die frühzeitig erkennbare Intention der zahllosen Reptilienärzte verzeiht.

Wie Olaf Kemmlers „Purpurgras" basiert Axel Kruses „9,81m/sec²" auf einer eher klassisch bodenständigen Idee. Die Mitglieder eines Generationsraumschiffs beginnen sich nicht zuletzt aufgrund des degenerierenden Genpools zu fragen, ob ihre bislang zweitausendjährige Mission zum Scheitern verurteilt ist. Sie versuchen mit einem der parallel fliegenden Schwesterraumschiffe Kontakt aufzunehmen. Die Freiwilligen erwartet am Ende ihrer Expedition eine eher unangenehme Überraschung, die ihre Welt ins Wanken bringt. Solide geschrieben versucht sich Axel Kruse dem eher bekannten Plot über die sympathischen gezeichneten Figuren zu nähern.

Die dritte auf einem eher klassischen Hard Science Fiction Thema basierende Geschichte ist Reinhard Kleindl First Contact Geschichte „Der ganz normale Wahnsinn". Aus der Ich- Perspektive wird anfänglich der Versuch eines „Wahnsinnigen" beschrieben, ein Raumschiff Marke Eigenbau zu bauen. Der Pfleger ist neidisch auf die in ihrer geistigen Isolation augenscheinlich glücklicheren Menschen, bis er schließlich mit der Autistin Maria auf die erste Reise des Raumschiffes in die Weiten des Weltraums eingeladen wird. Humorvoll ironisch, warmherzig und mit pointierten Dialogen gewinnt Reinhard Kleindl mit einer Mischung aus Robert A. Heinlein der fünfziger Jahre und der „Anything Goes" Mentalität des späten John Varley der im Grunde nicht mehr originellen Idee der „First Contact" Geschichte so viel Unterhaltsames ab, das es ein Vergnügen ist, den Wirrungen zu folgen. Nur das Ende wirkt im Vergleich zum geschickten Plotaufbau ein wenig zu abrupt und im Grunde auch etwas einfallslos.

Frank G. Gerigk präsentiert mit „Der Fluch" den einzigen satirischen Horrortext der Sammlung. Ein dekadenter Unternehmer muss für die Vergewaltigung seiner Hausangestellten büßen, auch wenn die beschworenen Geister einen Augenblick zu spät, kommen, um Rache zu nehmen. Obwohl plottechnisch vorhersehbar streift Gerigk in seinem kompakten Text die wichtigsten Themen der Gegenwart und versucht den Kapitalismus in Reinkultur inklusiv der Unfähigkeit der Firmenlenker, noch mit gesundem Menschenverstand zu operieren, auf die Schippe zu nehmen. Als Ganzes wirkt der Text allerdings ein wenig zu bemüht und zu belehrend.

Wie auch bei den anderen „Exodus" Ausgaben haben zahlreiche Zeichner oder Graphiker die Geschichten illustriert. Einen Schwerpunkt bilden die Arbeiten Helmut Wenskes, aber auch Klaus G. Schimanski, Hubert Schweitzer mit der für ihn so markanten Technik oder Chris Schlicht können überzeugen. Ihre graphischen Arbeiten untermalen teilweise sehr gut die Intention der Autoren und bilden so eine exzellente und von den Herausgebern angestrebte Mischung aus Bild & Text. Die Qualität der präsentierten Geschichten ist auch im Vergleich zum überdurchschnittlichen Niveau der Vorgängerausgaben ausgesprochen hoch. Neben den auf den Arbeiten Wenskes basierenden Geschichten bzw. der unterhaltsam surrealistischen Fabel von Horst- Dieter Radke oder A. Pernaths Lyrik überzeugen insbesondere Uwe Posts Alternativweltgeschichte, Reinhardt Kleindls „Space Opera" und Hemut Ehls Invasionsgeschichte „Zu viele Reptilienärzte" als originelle Variationen bekannter Szenarien bzw. interessant- düstere „Was wäre wenn" Geschichte. Den drei Herausgeber ist wieder eine exzellente Ausgabe gelungen, die aufgrund der thematischen Verknüpfung mit einem der interessantesten „unfreiwilligen" Science Fiction Künstler als Ganzes überzeugen kann und sogar einen - positiv geschrieben - Schritt weitergeht als die bisherigeren „Exodus" Magazine.

rezensiert von Thomas Harbach auf SF-Radio.net