Kurzgeschichten

  • Leseprobe aus # 45: Thomas Grüter

    Leseprobe aus # 45: Thomas Grüter

    Meine künstlichen Kinder spielen im Park

    Wenn ein Reinigungsroboter gegen die Wand fährt und wie tot liegen bleibt, ist das ein Fall für den Reparaturdienst. Wenn er aber dabei »Hey ho Geronimo!«, brüllt und zwei gerade vorbeilaufende Wasserschürfer fast zu Tode erschreckt, ist das ein Fall für die Cybersecurity, und damit für mich.
  • Leseprobe aus # 47: Dieter Korger

    Gondwana Skyway

    Die Kiste fiel wie ein massiver Stein. Charlie sah noch, wie sie sich in der Luft überraschend drehte. Der beschädigte Würfel aus Plastikimitat rutschte in demselben Moment aus der Styroporbox heraus, als sich die darin verstauten Reagenzgläser davonmachten. Dass sie aus robustem Kalknatronglas bestanden, änderte nichts am vorhersehbaren Ergebnis. Die Kiste raste aus rund einhundert Metern Höhe im freien Fall der Meeresoberfläche entgegen. Ihr Inhalt – milchige Flüssigkeit, Staubproben sowie in Flüssigkeit gelöste Staubpartikel – würde binnen Sekunden hart aufschlagen und im Atlantik versinken.
          Was danach passierte, war Charlie ziemlich egal. Sein Bewusstsein schwand.

  • Leseprobe aus # 47: Michael Schneiberg

    Die Frau in der Wand

     
    Das erste Mal sprach mich Lisa an, als ich Krebse zerquetschte.
          »Meinst du, das tut ihnen weh?« Ihre Stimme stand mitten im Raum, kühl und spröde.
          Ich sah zum Blocker an der Wand. Die Kontrolllampen des kleinen Kastens flackerten in einem beruhigenden Grün. »Scheiße …« Ich sah mich aufmerksam um. Alles schien stabil, ich konnte keine Schwachstelle in den Cancelling-Interferenzen des Blockers sehen. Die visuelle Abschirmung funktionierte. Aber wie war das Audiosignal durchgekommen?
  • Leseprobe aus # 47: Peter Schattschneider

    Genesis Reloaded

    von Peter Schattschneier

    Guten Tag. Sie sprechen mit Alice, dem Voice-Bot von Graf Alfred Merhan. Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht. Wir melden uns.« --- »Hallo, Alice!  Hier spricht Wei Lin, die Liefersoftware von Cheap’nfaster Inc., Wuhan, China. Du hast ein Produkt mit der Katalognummer 271828-18284, das vor zwei Wochen an deine Adresse zugestellt wurde, noch nicht bezahlt. Es wäre nett, wenn du das in den nächsten Tagen erledigen könntest.«

  • Leseprobe aus # 47: Victor Boden

    Der Garten

    Owen verfluchte den bevorstehenden Tag, noch bevor er die Augen offen hatte. Zwei Minuten später war er unter der Dusche und zehn Minuten später zwängte er sich im dicken Thermoanzug und mit übergezogener Atemmaske durch die Tür nach draußen.
          Er fluchte abermals, weil ihm gestern der gewohnte Gratschtee ausgegangen war, der seinem Kreislauf normalerweise den allmorgendlichen Tritt verpasste, um den Tag überleben zu können. Owen fluchte ohne Pause weiter, er verfluchte den verdammten Planeten mit seiner ewigen Kälte, er verfluchte das seit Tagen herrschende Schneetreiben, das ihn mittlerweile knietief einsinken ließ, er verfluchte seine Eltern, die ihn ungefragt in diese Eiswelt geboren hatten, er verfluchte die ungenießbare Atmosphäre, er verfluchte das gesamte Kolonisierungsprojekt und all die Raumschiffe, die nie kamen, um sie wieder von hier wegzuholen, er verfluchte das Universum, das die Menschen nur hervorgebracht hatte, um sie terrorisieren zu können, und er verfluchte die Aliensteine und die Erleuchteten, die überhaupt schuld an allem waren.
  • Leseprobe aus # 47: Wolf Welling

    Stulpa

    Ort: Labor von Dr. Frank N. Stein, nachmittags. Neonröhren erhellen den Raum, eine flackert.
          Stein sitzt an seinem Arbeitsplatz vor einem eingeschalteten PC und starrt ins Leere. In einer Ecke sitzt sein Assistent Kerner in einem abgewetzten Sessel und liest in einem Buch.
    Mit einem Ruck dreht sich Stein plötzlich zu seinem Assistenten um.
          »Kerner, was machen Sie da?«
          »Wie Sie unschwer erkennen können: ich lese.«
          »Ja, das sehe ich, ich bin ja nicht blind. Aber was lesen Sie da?«
          »Einen Roman.«
          »Einen Roman?«
  • Leseprobe aus # 48: Christian Endres

    Soeben für den Kurd-Laßwitz-Preis 2025 nominiert:

     

    Wichtig ist nur, was die Leute glauben

    von Christian Endres


    Ich wusste lange nicht, dass es in unserer Gegend einen alten unterirdischen Bunker gibt.

          Jetzt gehört es für mich zum Alltag, regelmäßig zu genau diesem Bunker zu fahren. Würde ich das nicht tun, könnte ich Dinge wie die Monatsmiete, den Wocheneinkauf oder die quartalsmäßige Stromrechnung mit meinem normalen Job als Fahrradkurierin in der Stadt kaum stemmen.

  • Leseprobe aus # 48: Maria Orlovskaya

    Soeben für den Kurd-Laßwitz-Preis 2025 nominiert:

     

    Slide Machine

    von Maria Orlovskaya

    Wir waren ein und dieselbe Person. Gebunden an dieselben Prinzipien. Perfekt füreinander geschaffen.«

          Jesse rutschte nervös auf dem reich verzierten Sofa hin und her. Der Salon ihrer besten Freundin Regina roch nach runzligem, alten Holz. Nach Weisheit.

          »Und du bist dir sicher, dass... Alec es auch so gesehen hat?«, fragte Regina und sah Jes-se mit leuchtenden Augen an. Augen so grün wie frische Grashalme, die sich gern durch die Fugen von Kinderhänden schnitten.

          »Wenn es nicht so wäre, könnte ich gar nicht reisen. Nichts von dem wäre möglich, verstehst du? Ich würde nicht einmal hier sitzen.« Sie schaute sich um, betrachtete die expressionistischen Gemälde, den Esszimmertisch und die alte, schwere Obstschale, die darauf stand. 

  • Leseprobe aus # 48: Marie Meier

    Noah, der Hammer und der Gott in der Maschine

    von Marie Meier

    Hubert reißt den Mund auf. Ein schwarzer Schlund gähnt mir entgegen, potenziell unendlich, jedoch mutmaßlich begrenzt durch seine Gaumenmandeln und seinen Rachen. An seinen Zähnen klebt Speichel, auf seiner Zunge sitzt weißer Belag. Ich hasse Hubert von Herzen, hasse ihn mehr als jeden anderen Menschen. Schwer ist das aber nicht, wenn es nur noch einen Menschen gibt.

  • Leseprobe aus # 48: Michael Schneiberg

    Soeben für den Kurd-Laßwitz-Preis 2025 nominiert:

     

    Das weiße Zelt

    von Michael Schneiberg

    Ich denke, wir waren eine ziemlich normale Familie. Nachdem meine Eltern Frank und Eva ihren großstädtischen Zyklus von Studentenleben, Zwei-Zimmer-Wohnung, Berufseinstieg und zögerlicher, aber letztlich überzeugter Familiengründung durchlaufen hatten, ließen sie sich in einer frisch sanierten Reihenhaussiedlung aus den 30er-Jahren in Köln-Nippes nieder. Mitten zwischen Menschen gleichen Schlages, linksbürgerliche, kritische Beobachter der Welt, mit einer Sehnsucht nach guter Nachbarschaft und dem Willen, eine richtige Entscheidung an die andere zu reihen.

  • Leseprobe aus # 48: Wolf Welling

    Der Zähler und der Monolith

    von Wolf Welling

    Der Auftrag

    Ich hatte dem Amt erklärt, dass dies mein letzter Auftrag sein würde. Schließlich hatte ich im Alter von einhundertzwanzig Jahren meine Pensionsgrenze erreicht. Irgendwann ist es mal genug.

          Es ging in diesem Fall um Folgendes: Ich sollte das merkwürdige Verschwinden einer ganzen Kolonie auf dem Planeten Monolithos aufklären. Dort seien Gebäude, Werkzeuge, Fahrzeuge, Sendemasten und so weiter, alles Materielle vorhanden, nur die Menschen seien verschwunden, »so um die dreihundert« (Ich hasse solche Ausdrücke wie »so um«, »circa«, »irgendwie«, »oder so« – alles Ausdrücke verschwommenen Denkens).

  • Leseprobe aus # 49: Alexa Rudolph

    Die Welle

    von Alexa Rudolph

    Start und Ziel. Jahr für Jahr im Sommer an denselben Ort! Mehr möchte ich dazu nicht sagen, nur dies: anstrengend war er immer, unser Familienurlaub! Ein echtes Auslaufmodell. Aber, ich habe durchgehalten. Inzwischen bin ich kein Kind mehr, werde demnächst achtzehn. Ich habe mir die Nase operieren lassen, außerdem den Kopf rasiert. So fühle ich mich besser und sehe nicht wie meine Erzeuger aus. Und jetzt packe ich meine Sachen! Ein allerletztes Mal fahre ich mit. Ich weiß auch nicht wieso, vielleicht wegen der Meerjungfrauenflosse. Fertig! Von mir aus kann’s losgehen. Wir haben Plätze im Hyperloop gebucht. Ziemlich elegante Röhre, gläserne Kapsel mit Relax-Polstern. Anschnallen, und ab geht’s. Super Speed. Nette Erfindung. Nicht mal Zeit zum Pinkeln. Start und Ziel wie Einatmen und Ausatmen gleichzeitig, beinahe.

  • Leseprobe aus # 49: Marco Rauch

    Die Quelle

    von Marco Rauch

    Der erste Schuss knallte und zersplitterte die Stille wie eine Glasscheibe. Die Kugel ging daneben, flog über ihre Köpfe hinweg und hinaus in eine fast leere Welt. Sie kamen wegen des Brunnens. Sie wollten das Wasser. Es war die einzige Quelle im Umkreis von mindestens hundert Kilometern. Vielleicht die letzte im ganzen Land.
          Daniel erwiderte das Feuer. Zuerst müssten sie an ihm, seiner Schwester Samantha und ihrem Ehemann Rudolf vorbei. Alles war gut geschützt. Die Quelle befand sich hinter dem komplett verbarrikadierten Haus, das nur ein Panzer oder Raketenbeschuss zerstören könnte. Die Rückseite wurde von einem vertrockneten Wald umschlossen, der am Fuß eines Berges lag. Von dort konnte sie niemand überfallen, außer man nahm den Weg über das Gebirge. Dort oben, zwischen den schartigen Felsen und tiefen Schluchten, verbarg sich die Quelle des Brunnens.

  • Leseprobe aus # 49: Uwe Post

    Blumen für Lisa-9

    von Uwe Post

    Als wir Papa begruben, schien die Frühlingssonne auf Lisa-9 mit ihrem bunten Blumenstrauß.
          Niemand sprach, als Papas Urne am Fuße der alten Buche versenkt wurde. Mama presste die Lippen fest aufeinander. Der Friedwald-Angestellte nickte uns zu.
          Ohne Zögern trat Mama vor, griff zur Schaufel und ließ Erde auf Papas Urne prasseln.
          Sie hörte gar nicht mehr auf zu schaufeln.
          Der Mann vom Friedwald warf mir einen Blick zu. Meine Schwester aber war Luft für ihn.
          Meine kleine Schwester, die früher meine große Schwester gewesen war.
          Lisa war perfekt. Äußerlich neun Jahre alt. Für immer. Aber in Wirklichkeit erwachsen. Erwachsener als Papa, soviel stand fest. Sonst wäre das alles nicht passiert.
          Aber … vielleicht beginne ich besser am Anfang.
  • NOVA 27

    NOVA 27 - jetzt auch in Farbe!

    Verspätet, aber: NOVA 27 ist da!

    Mit 290 Seiten (davon 18 Seiten in Farbe) ist NOVA 27 ein dicker Brocken geworden. 

    Themenausgabe »Neue Wege zur Utopie«
    Idealgesellschaften mit kleinen Schönheitsfehlern
    Hoffnungsschimmer im Hoffnungslosen

  • Visionen der Welt von morgen

    »Die Zukunft meiner Enkel ist mir wichtiger als meine Vergangenheit«

    ... meint der Autor der Kurzgeschichten-Sammlung Visionen der Welt von morgen, Wilfried Rumpf. Der Autor ist ein ehemaliger Gymnasiallehrer, der selber als Schüler seine erste Bekanntschaft mit der SF machte.

  • Heinz Wipperfürth

    Wipperfürth, Heinz

    ... geb. 1950, war in seinem Hauptberuf bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern angestellt. In dieser Eigenschaft ist er seit Januar 2006 bei EXODUS für die Seitennummerierung zuständig und darüber hinaus auch als Lektor, Co-Editor und Lyrik-Beauftragter bei uns tätig.

    Unter seinem richtigen Namen schreibt er u. a. Romane und Erzählungen aus dem »Gedd«-Zyklus: »Die Sternseherin von Gedd« (CAPRICORNUS Verlag, Hamburg), »Jamal - eine Geschichte aus Gedd« (EXODUS 16).

    Satirische Veröffentlichungen unter »Arnold Spree« und »Dimitri Kosselow« u. a. in EXODUS, FANTASIA, WATCHTOWER, CAPRICORNUS, SOLAR-News.

    Zusammen mit den Kollegen René Moreau & Olaf Kemmler wurde er im September 2015 mit dem begehrten Kurd-Laßwitz-Preis in der Kategorie »Sonderpreis für langjährige herausragende Leistungen im Bereich der deutschsprachigen SF«, damit »für die Herausgabe des SF-Magazins EXODUS und die Förderung der SF-Kurzgeschichte« in Deutschland ausgezeichnet.

    2024 wurde er gemeinsam mit den Herausgeber- und Redaktions-Kollegen mit dem Kurd-Laßwitz-Preis in der Kategorie »Sonderpreis für langjährige herausragende Leistungen im Bereich der deutschsprachigen SF«für 20 Jahre EXODUS (im neuen Gewand) ausgezeichnet. → Hier geht´s zur LAUDATIO der Preisverleihung.