Die Jubiläumsnummer 25 stellt für »Exodus« den nächsten Schritt dar. Nach der Farbe kommen jetzt die Themen.

Das Magazin mit seinen zehn Geschichten von neun Autoren steht unter dem Thema „Die neuen Menschen". Heinz Wipperführth erläutert, das BILD DER WISSENSCHAFT festgestellt hat, dass unsere Gehirne beim Ausmalen zukünftiger Ereignisse bestimmte Gehirnregionen aktivieren. Grund genug, die graue Masse intellektuell zu stimulieren und das Auge mit teilweise farbigen Zeichnungen und Graphiken zu erfreuen.

Christian Weis ist mit zwei Texten vertreten. „Bis ans Ende der Welt" beginnt wie eine klassische Space Opera und erinnert ein wenig an „Aliens", als die Mannschaft eines Raumschiffs zu einer Kolonie zurückkehrt, auf der Menschen für Landzeitmissionen im All genetisch koordiniert werden sollen. Die Mannschaft findet eine Überlebende und wird mit zahlreichen Problemen wie auch einer Reihe von Toten konfrontiert. Das Tempo wird vom Autoren hoch gehalten, die finale Konfrontation mit dem etwas pathetisch verklärten Ende zufrieden stellend vorbereitet und der Mittelteil überzeugt in erster Linie durch eine überzeugende bedrohliche Atmosphäre. Die Idee der genetischen Manipulation inklusiv des an Dr. Moreau erinnernden Antagonisten Mr. Klein hätte der Autor aber noch besser ausarbeiten können. Die zweite Geschichte von Christian Weis „Wiederkehr" macht den Auftakt der Sammlung. Eine intensive, fast karge aus der Ich- Erzählerperspektive konzipierte Story, die eher an die Science Fiction der achtziger Jahre eines Herbert W. Franke erinnert. Sehr Pointen getrieben gelingt es Christian Weis nur spärlich, die notwendige Sympathiebrücke zwischen Leser und Protagonisten zu schlagen. Die Handlung wirkt zu stark konstruiert und zu sperrig, um zu unterhalten, die Auflösung ist zu schwach, um zu provozieren. Die Intention des Autoren ist deutlich erkennbar, alleine die literarische Umsetzung ist nicht zufrieden stellend und zu stark bemüht. Auch „Frost" aus der Feder Christoph von Zastrows geht aufbautechnisch den gleichen Weg. Ich- Erzählerperspektive mit einem allerdings deutlich charismatischeren und hinsichtlich seines Hintergrunds in der „Citizen Kane" Tradition inklusiv des entsprechenden Hinweises entwickelten Charakters. Die Idee der „Schläfer" Geschichte, der erst wieder erwachen will, wenn die Menschheit medizinisch seine unheilbare Krankheit besiegt hat und der sich als nächste ohne nähere Fakten als die kommende Generation sieht, ist schon oft verwandt worden. Von Zastrow kann diesem Szenario keine neuen Ideen hinzufügen. Die Charakterisierung des Protagonisten ausschließlich aus der verzehrten Ich- Perspektive macht den Text lesenswert. Stilistisch ansprechend, aber wie Christian Weis Szenario absichtlich emotionslos und damit unnötig distanziert geschrieben. Eine Reihe von interessanten Ansätzen werden mit dieser Vorgehensweise im Keim erstickt und eine zweite, abweichende Handlungsebene hätte dem vorliegenden Text gut getan. „Holonium Blues" von Sewarion ist die alt bekannte Story der Süchtigen, die dank einer neuen Droge durch die Hölle geht und schließlich geheilt wird, um sich an dem Polizisten zu „rächen", der sie verhaftet hat. Die Pointe ist in dieser Form nicht vorhersehbar und rundet den Text zufrieden stellend zynisch bzw. optimistisch – alles eine Frage der Perspektive – ab. Stilistisch ansprechend, aber ein wenig zu formelartig geschrieben gelingt es Sewarion aber über weite Strecke nicht, insbesondere in der wichtigen ersten Hälfte seiner Prämisse neue und wichtige Impulse hinzuzufügen.

„Sectio Aurea" von Mitherausgeber Olaf Kemmler beschreibt den Überlebenskampf der letzten alten Menschen gegen ihre genetisch gezüchteten Androiden Nachkommen. Dabei legen die neuen Menschen auf eine Ausrottung ihrer Vorfahren wert, nutzen dazu auf den ersten Blick die Hilfe einiger weniger alter Menschen, um schließlich auf die harte Tour erkennen zu müssen, das sie nicht die Vollkommenheit der neuen Schöpfung darstellen. Der Plot ist von Olaf Kemmler rasant und unterhaltsam spannend gestaltet worden. In erster Linie mittels sorgfältiger geschriebener Dialoge und farbenprächtiger Hintergrundbeschreibungen eröffnet der Autor das Szenario, bevor er dann den Plot auf ein Kammerspiel und ein Rätsel reduziert. Auf den letzten Seiten dreht sich die Handlung mehrmals, bevor Kemmler seine gut geschriebene Story auf einer ironischen, aber konsequenten Note beendet. Gute Unterhaltung ohne zu belehren.

Antje Ippensens Story „Mehr als die Summe seiner Teile" setzt sich mit der Erforschung der Vergangenheit, der natürlich primitiven menschlichen Vergangenheit und ihrem Einfluss auf die Gegenwart auseinander. Nach einem guten Anfang verliert die Autorin aber ihren handlungstechnischen Faden und bemüht sich, ihrem Text ein zufrieden stellendes, aber eher konstruiertes Ende zu geben. Stilistisch ansprechend geschrieben hätten die Protagonisten etwas dreidimensionaler, überzeugender gezeichnet werden können. Unter einer ähnlichen Schwäche leidet Achim Stößers „www", der mit einer Reihe eindrucksvoller, aber den Plot nicht unbedingt voranbringender sprachlicher Bilder – siehe die Kreuze von Verdun – seine Story beginnt, sie aber eher enttäuschend zu Ende bringt. Eine Expedition kehrt zur Erde zurück und stellt fest, dass die Menschen inzwischen fast ausnahmslos im Tiefschlaf befinden und sich mittels einer planetaren virtuellen Realität verständigen. Auf der einen Seite beschreibt Achim Stösser die Geschichte der technisch- virtuellen Evolution, auf der anderen Seite scheint die reale Gegenwart mehr und mehr fragwürdig zu sein. Handlungstechnisch kompakt kombiniert der Autor eine Reihe nicht unbedingt originellen, aber solide präsentierten Ideen zu einer unterhaltsamen, aber hinsichtlich möglicher Ambitionen ins Leere zielenden Geschichte.

„Der Mars- Dialog" von Robin Haseler ist eine kompakte Geschichte. Die Menschen und Marsianer steuern auf einen militärischen Konflikt zu. Bei einer Konferenz versuchen die beiden Unterhändler die jeweils andere Position auszuloten und greifen am Ende zu unfairen, aber notwendigen Tricks. Der Reiz des Textes liegt in der Darstellung der unterschiedlichen Positionen. Ganz bewusst verzichtet der Autor im Verlaufe der Handlung bei den wichtigsten Passagen auf eine neutrale Darstellung, schaltet sich nach einem Eintrag in eine Art futuristische Wikipedia in die Gedanken der Protagonisten ein und präsentiert eine morbide, aber passende Pointe.
„Fuckanimal" von Wolf Welling beschreibt die sexuelle Ausnutzung von extra gezüchteten Ersatzmenschen. Durch einen Selbstmord eines Fuckanimals werden die Ermittler auf Material aufmerksam, das beweist, dass diese Wesen inzwischen in der Lage sind, ein Bewusstsein zu entwickeln und ihren Missbrauch durch ihre Besitzer zu spüren. Die Geschichte ist solide geschrieben, die Tagebuchaufzeichnungen des Fuckanimals erinnern an ein wenig Daniel Keyes Roman „Flowers for Algernoon", aber zusammengefasst gelingt es Welling wie eine Reihe anderer Autoren dieser „Exodus" Ausgabe nicht, dem Thema neue Facetten abzugewinnen.

Die letzte Geschichte „Entscheidung unter dem Thales- Fenster" von Frank Neugebauer gehört zu den Höhepunkten der vorliegenden „Exodus" Ausgabe. Anfänglich anscheinend eine klassische Invasionsstory schwingt sich Frank Neugebauer erstaunlich ideenreich, sprachlich sehr ansprechend und gewandt in die Gefilde der Stephen Baxter´schen Evolutionstheorien auf, bevor er mit einem hoffnungsvollen, aber exotischen Ausblick in die ferne Zukunft seine außergewöhnliche Story beendet. Es ist schade, dass nicht andere Autoren das breite Thema der neuen Menschen zu derartigen Exzessen genutzt haben.

Die Zeichnungen und Graphiken gehören inzwischen zu einem wichtigen, wenn nicht sogar elementaren Bestandteil des Magazins. Jede der Kurzgeschichten ist von Zeichnern wie Hubert Schweizer – sein positiv gesprochen altbekannter Stil passt sehr gut zu Christian Weis zweiter Geschichte „Bis ans Ende der Welt - , Olaf Kemmler – er illustriert mit einer Vignette den eigenen Text -, Chris Schlicht oder Lothar Bauer begleitet worden. Weiterhin steuert Klaus N. Frick ein kurzes Essay „Der neue Mensch der nahen Zukunft" zu den farbigen Zeichnungen bei. Ein umlaufendes Cover von Crossvalley Smith erweckt die Neugierde der Leser. Nicole Erxlebens „Die neuen Menschen" , Lothar Bauers „Cyborg", „Die Letzte" und „Erlösung" von Mario Moritz konzentrieren sich im Gegensatz zu einigen Geschichten des Themenbandes fast ausschließlich auf den Menschen in einer fremdartig bedrohlichen. distanzierten Landschaft bzw. Nicole Erxleben zeigt, welche Veränderungen auf die Menschheit warten. Im vorliegenden Themenband veranschaulichen die Zeichnungen eher die Erwartungen und Ängste der Mitarbeiter. Zusammengefasst überzeugt der Themenband „Die neuen Menschen" trotz eher durchschnittlicher Geschichten und gehört zu den besten semiprofessionellen Magazinen Deutschlands.

rezensiert von Thomas Harbach auf SF-Radio.net